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"Befreiung" ist was anderes als "Uebergabe"

Schlechter Journalismus: Tagesschau, Focus und Bild schreiben über eine „Befreiung“ eines entführten Entwicklungshelfers, obwohl es sich um eine Übergabe handelte. Purer Zufall? Was könnte dahinter stecken?

Aktuelle Schlagzeilen:

Bild: “Deutsche Geisel von Spezialkommando befreit”
Focus: “KSK befreit deutsche Geisel in Afghanistan”
Tagesschau.de: “Deutsche Geisel in Kabul befreit”

In den Artikeln wird jedoch ein ganz anderer Sachverhalt geschildert:

Focus: “Die Übergabe der Geisel fand dem Bericht zufolge am Stadtrand von Kabul bei einer Moschee statt. Zuvor musste der Entwicklungshelfer stundenlang mit seinen Entführern durch den gefährlichen Osten Afghanistans marschieren.”

Bild: “Die Übergabe der deutschen Geisel fand nach BILD-Informationen in der afghanischen Hauptstadt statt. (...) Ihr ausdrücklicher Auftrag: keine gewaltsame Befreiung der deutschen Geisel, sondern eine geordnete Übergabe."

Tagesschau.de: “Die "Bild"-Zeitung berichtete, dass der Mann in Kabul an ein Team des Kommandos Spezialkräfte (KSK) übergeben worden sei. Die KSK-Soldaten hätten den Auftrag gehabt, bei der Befreiung auf Gewalt zu verzichten.”

Warum also diese falschen Schlagzeilen?

1. Kennen diese Journalisten nicht die Bedeutung des Wortes „Befreiung“ bzw. „befreien“ im Kontext von Entführungen?

2. Wollten sie einfach eine sensationelle Schlagzeile um Aufmerksamkeit zu erzeugen, Klickzahlen zu generieren und Geld zu verdienen bzw. ihren Job zu sichern? Ganz egal, was die Fakten sind?

3. Oder war der Wunsch Vater des Gedanken? Hypothese: Viele Deutsche und auch die Autoren der o.g. Publikationen finden es schlecht, Lösegeld zu zahlen, weil dadurch das Entführungsgeschäft angekurbelt wird. Sie wünschen sich, dass die Bundeswehr Spezialkräfte Geiseln befreien und dass wir endlich mal wieder etwas Positives über die Bundeswehr schreiben können. Okay, das ist eine Spekulation, die mancher als unjournalistisch kritisieren mag, aber wie sonst lassen sich diese Schlagzeilen erklären?

Ja, die Bundeswehr ist toll und alle Soldaten verdienen unsere Anerkennung, insbesondere auch das KSK. Sie haben ihr Leben riskiert, diese Übergabe abzusichern. Dafür sollten wir ihnen dankbar sein. Es ist nicht notwendig, ihre Leistung zu überhöhen. Es gibt m.E. bei einigen in Deutschland und vielen in den USA eine Tendenz dazu, die nicht hilfreich ist, sondern eher von diversen militärischen und politischen Problemen ablenkt, die wir beheben müssen, damit unsere Soldatinnen und Soldaten noch besser zur Sicherheit Deutschlands und seiner Bürger im Ausland beitragen können.

Guter Journalismus wäre es, die Umstände der Freilassung zu recherchieren. Wie kam es zu der Übergabe? Unter welchen Bedingungen wurde der Entwicklungshelfer freigelassen? Wurde wieder mal viel Lösegeld gezahlt? Sind jetzt andere Entwicklungshelfer noch stärker gefährdet? Ist die Bundeswehr militärisch und politisch bereit, Geiselbefreiung weltweit durchzuführen? Etc.

 

UPDATE vom 11. Oktober 2014:

Focus und Tagesschau.de waren nicht die einzigen, die ohne nachzudenken aus der BILD-Zeitung abgeschrieben haben.

Auch n-tv und die Deutsche Welle sprechen von "befreit" in ihren Schlagzeilen:

n-tv: “KSK befreit deutsche Taliban-Geisel”

DW: “Deutscher aus Geiselhaft befreit”

In den Artikeln steht es dann wieder ganz anders:
n-tv: "Die Soldaten hätten den Auftrag gehabt, den Deutschen nicht gewaltsam zu befreien. Unklar blieb, wie die Freilassung der Geisel erreicht wurde."

DW: “Wie die "Bild"-Zeitung berichtet, waren es deutsche Elitesoldaten, die den Mitarbeiter der Welthungerhilfe nach mehr als zwei Jahren Geiselhaft in Afghanistan befreit haben. (…) Die Übergabe der deutschen Geisel habe in Kabul stattgefunden. (…) Eine gewaltsame Befreiungsaktion war demnach nicht geplant. Angaben zu Gegenleistungen für die Freilassung des Entwicklungshelfers gab es zunächst nicht.”

Mir geht es weniger darum, wie ein Oberlehrer auf sprachliche Fehler hinzuweisen, sondern vor dem falschen Eindruck zu warnen, den diese Schlagzeilen wecken. Eine Verklärung der KSK und der Umstände dieser Freilassung schadet Deutschland langfristig. Genauso wie dieses Wunschdenken, man könne Geiseln gewaltfrei “befreien”, das n-tv, tagesschau.de und BILD mit ihren Artikel befördern.

Wenn tagesschau.de schreibt “Die KSK-Soldaten hätten den Auftrag gehabt, bei der Befreiung auf Gewalt zu verzichten.” dann wird von der realen Bundeswehr mehr erwartet als vom fiktiven MacGyver. Er hat bei seinen Geiselbefreiungen zwar meistens auf den Schußwaffengebrauch verzichtet, aber er hat doch Gewalt angewendet. Daher ist der Satz auf Tagesschau.de und bei anderen auch absurder als meine frühere Lieblings-TV-Sendung.

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